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Lieferkettengesetz: Bedeutung & Umsetzung für den Einkauf

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verpflichtet Unternehmen zur Überwachung ihrer gesamten Lieferkette hinsichtlich Menschenrechts- und Umweltstandards und revolutioniert damit die Beschaffungsprozesse deutscher Unternehmen, indem es Nachhaltigkeit und Compliance zu zentralen Aufgaben des Einkaufs macht.

Was ist das Lieferkettengesetz?

Das Lieferkettengesetz, offiziell "Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz" (LkSG), ist ein deutsches Gesetz, das Unternehmen verpflichtet, Sorgfaltspflichten zum Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards entlang ihrer gesamten Lieferkette einzuhalten. Es zielt darauf ab, Menschenrechtsverletzungen wie Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder Diskriminierung sowie Umweltschäden durch Geschäftsaktivitäten deutscher Unternehmen und ihrer globalen Zulieferer zu verhindern.

Inhalt

Kernelemente des Lieferkettengesetzes

Das Lieferkettengesetz basiert auf mehreren Kernelementen, die Unternehmen etablieren und nachweisen müssen:

1. Risikomanagement

Unternehmen müssen ein angemessenes und wirksames Risikomanagement einrichten, um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken in ihrer Lieferkette zu identifizieren und zu bewerten. Dies umfasst die Implementierung einer klaren Zuständigkeitsregelung, beispielsweise durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten.

2. Risikoanalyse

Betroffene Unternehmen sind verpflichtet, regelmäßig eine Risikoanalyse durchzuführen, um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken in ihrer eigenen Geschäftstätigkeit sowie bei unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern zu ermitteln. Die Analyse muss mindestens einmal jährlich sowie anlassbezogen durchgeführt werden.

3. Präventionsmaßnahmen

Auf Basis der Risikoanalyse müssen Unternehmen angemessene Präventionsmaßnahmen implementieren, um identifizierte Risiken zu vermeiden oder zu minimieren. Dazu gehören u.a. die Verankerung einer Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte, die Entwicklung geeigneter Beschaffungsstrategien und die Integration von Menschenrechtsaspekten in Lieferantenverträge.

4. Abhilfemaßnahmen

Bei Feststellung von Verstößen oder Risiken müssen unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen ergriffen werden, um diese zu beenden oder zu minimieren. Je nach Schwere des Verstoßes kann dies von Nachbesserungsforderungen bis hin zur Beendigung von Geschäftsbeziehungen reichen.

5. Beschwerdeverfahren

Unternehmen müssen ein wirksames Beschwerdeverfahren einrichten, das es Betroffenen ermöglicht, auf Risiken oder Verstöße hinzuweisen. Das Verfahren muss für potenzielle Betroffene zugänglich, transparent und fair sein.

6. Dokumentations- und Berichtspflicht

Betroffene Unternehmen müssen ihre Sorgfaltspflichten dokumentieren und jährlich einen Bericht über die Erfüllung dieser Pflichten veröffentlichen6. Der Bericht muss spätestens vier Monate nach dem Ende des Geschäftsjahres für einen Zeitraum von sieben Jahren auf der Unternehmenswebsite öffentlich zugänglich gemacht werden.

Auswirkungen auf die Beschaffung

Das Lieferkettengesetz hat weitreichende Auswirkungen auf die Beschaffungsfunktion in Unternehmen, da der Einkauf an der Schnittstelle zu Lieferanten eine Schlüsselrolle bei der Implementierung und Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen spielt:

Neuausrichtung des Lieferantenmanagements

Der Einkauf muss sein Lieferantenmanagement grundlegend überarbeiten, um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken systematisch zu erfassen und zu bewerten. Dies umfasst:

  • Die Implementierung erweiterter Lieferantenbewertungssysteme, die neben wirtschaftlichen auch soziale und ökologische Kriterien berücksichtigen
  • Die Entwicklung und Durchführung von Lieferantenaudits zur Überprüfung der Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards
  • Die regelmäßige Überwachung von Hochrisikolieferanten und -regionen

Anpassung von Verträgen und Einkaufsbedingungen

Bestehende Lieferantenverträge müssen überprüft und angepasst werden, um Menschenrechts- und Umweltaspekte zu integrieren. Dies beinhaltet:

  • Die Aufnahme von Menschenrechts- und Umweltklauseln in Lieferantenverträge
  • Die Festlegung von Verhaltenskodizes für Lieferanten
  • Die Definition von Sanktionsmechanismen bei Verstößen

Neubewertung von Beschaffungsstrategien

Traditionelle Beschaffungsstrategien, die hauptsächlich auf Kosten und Effizienz ausgerichtet sind, müssen um Nachhaltigkeitsaspekte erweitert werden. Dies kann bedeuten:

  • Eine Diversifizierung der Lieferantenbasis zur Risikominimierung
  • Die Entwicklung lokaler Beschaffungsstrukturen zur besseren Kontrolle
  • Die Integration von Menschenrechts- und Umweltrisiken in Make-or-Buy-Entscheidungen

Erhöhte Komplexität und Ressourcenbedarf

Die Umsetzung des Lieferkettengesetzes führt zu einer erhöhten Komplexität im Einkauf und erfordert zusätzliche Ressourcen:

  • Bedarf an spezialisierten Fachkräften mit Expertise in Menschenrechts- und Umweltfragen
  • Notwendigkeit von Schulungen und Weiterbildungen für Einkaufsmitarbeiter
  • Zusätzlicher zeitlicher und finanzieller Aufwand für Risikoanalysen und Überwachungsmaßnahmen

Betroffenheit als Lieferant

Auch Unternehmen, die nicht direkt unter das Lieferkettengesetz fallen, können als Lieferanten betroffen sein:

Unmittelbare vs. mittelbare Zulieferer

Das Gesetz unterscheidet zwischen unmittelbaren Zulieferern (direkte Vertragspartner) und mittelbaren Zulieferern (alle weiteren Glieder der Lieferkette). Für unmittelbare Zulieferer gelten strengere Sorgfaltspflichten als für mittelbare, weshalb der Status des Lieferanten im Verhältnis zum verpflichteten Unternehmen entscheidend ist.

Anforderungen an Lieferanten

Als Lieferant eines vom Lieferkettengesetz betroffenen Unternehmens können folgende Anforderungen auf Sie zukommen:

  • Durchführung von Selbstassessments zur Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards
  • Dokumentation und Nachweis der eigenen Sorgfaltsprozesse
  • Teilnahme an Audits und Kontrollverfahren des Kunden
  • Weitergabe von Anforderungen an die eigenen Zulieferer

Kaskadeneffekt durch die Lieferkette

Ein wesentlicher Effekt des Lieferkettengesetzes ist der sogenannte Kaskadeneffekt, bei dem Sorgfaltspflichten durch die gesamte Lieferkette weitergereicht werden. Dies führt dazu, dass auch kleine und mittelständische Unternehmen, die nicht direkt vom Gesetz betroffen sind, als Zulieferer indirekt die Anforderungen erfüllen müssen.

Sanktionen und Durchsetzung

Bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz drohen erhebliche Sanktionen:

  • Bußgelder und finanzielle Konsequenzen:Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten können mit Bußgeldern von bis zu 500.000 Euro geahndet werden. Bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen Euro kann die Geldbuße sogar bis zu 2 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes betragen.
  • Ausschluss von öffentlichen Aufträgen: Unternehmen, die gegen das Lieferkettengesetz verstoßen, können für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Angesichts des erheblichen Volumens öffentlicher Aufträge kann dies zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen führen.
  • Überwachung durch das BAFA: Die Überwachung und Durchsetzung des Lieferkettengesetzes obliegt dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Das BAFA kann Kontrollen durchführen, Dokumente anfordern und bei Bedarf Anordnungen erlassen, um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben sicherzustellen.

Leitfaden: Praxisorientierte Umsetzung des Lieferkettengesetzes

Beispiel: Umsetzung eines risikobasierten Lieferantenmanagements

Ein mittelständisches Unternehmen der Elektronikindustrie mit 1.200 Mitarbeitern musste zum 1. Januar 2024 die Anforderungen des Lieferkettengesetzes umsetzen. Das Unternehmen bezieht Komponenten von mehr als 300 direkten Zulieferern aus 27 Ländern, darunter auch Hochrisikoregionen wie Teile Asiens und Afrikas.

Der Einkauf entwickelte ein dreistufiges risikobasiertes Lieferantenmanagement:

  1. Risikokategorisierung: Alle Zulieferer wurden anhand von Länderrisiken (basierend auf dem Human Rights Risk Index) und produktspezifischen Risiken (z.B. Verwendung kritischer Rohstoffe) in drei Risikokategorien eingestuft: hoch, mittel und niedrig. Die Analyse ergab, dass 15% der Zulieferer in die Hochrisikokategorie, 35% in die mittlere und 50% in die niedrige Risikokategorie fielen.
  2. Differenzierte Maßnahmen: Je nach Risikokategorie wurden unterschiedliche Maßnahmen implementiert:
    • Hochrisiko-Zulieferer: Verpflichtende Vor-Ort-Audits, monatliches Monitoring, verpflichtende Schulungen
    • Mittleres Risiko: Jährliche Selbstassessments, stichprobenartige Audits, Schulungsangebote
    • Niedriges Risiko: Standardisierte Verhaltenskodizes, Selbsterklärungen
  3. Kontinuierliche Verbesserung: Mit allen Hochrisiko-Zulieferern wurden konkrete Verbesserungspläne vereinbart. Die Umsetzung wurde durch quartalsweise Reviews überprüft. Bei zwei Zulieferern, die trotz mehrfacher Aufforderung keine ausreichenden Verbesserungen zeigten, wurde die Geschäftsbeziehung nach einem strukturierten Eskalationsprozess beendet.

Die quantitativen Ergebnisse nach einem Jahr:

  • 100% der Hochrisiko-Zulieferer wurden auditiert
  • 78% der identifizierten Risiken wurden erfolgreich adressiert
  • Die durchschnittliche Compliance-Rate stieg von 68% auf 87%
  • Die Implementierungskosten beliefen sich auf ca. 350.000 Euro, hauptsächlich für zusätzliches Personal, Schulungen und Audits

Digitalisierung in der Lieferkettenüberwachung

Die Umsetzung des Lieferkettengesetzes stellt Unternehmen vor erhebliche operative Herausforderungen, die ohne den Einsatz digitaler Technologien kaum zu bewältigen sind:

Notwendigkeit digitaler Lösungen

Die Komplexität moderner globaler Lieferketten mit hunderten oder tausenden Zulieferern macht eine manuelle Überwachung und Risikobewertung nahezu unmöglich. Digitale Systeme ermöglichen die effiziente Sammlung, Analyse und Dokumentation der erforderlichen Daten und helfen, den hohen administrativen Aufwand zu reduzieren.

Integrierte SRM-Systeme

Moderne Supplier-Relationship-Management-Systeme (SRM) können erweitert werden, um die spezifischen Anforderungen des Lieferkettengesetzes zu erfüllen:

  • Integration von Menschenrechts- und Umweltkriterien in Lieferantenbewertungen
  • Automatisierte Risikobewertungen basierend auf Länder-, Produkt- und Lieferantendaten
  • Workflow-Management für Audits, Korrekturmaßnahmen und Eskalationsprozesse
  • Zentrale Dokumentation aller Sorgfaltsprozesse zur Erfüllung der Nachweispflichten

Blockchain und Rückverfolgbarkeit

Innovative Technologien wie Blockchain können die Transparenz und Rückverfolgbarkeit in komplexen Lieferketten revolutionieren:

  • Lückenlose Dokumentation aller Lieferkettenglieder bis zum Ursprung
  • Fälschungssichere Nachweise über Herkunft und Produktionsbedingungen
  • Smart Contracts zur automatisierten Überprüfung von Compliance-Anforderungen

KI-gestützte Risikoanalyse

Künstliche Intelligenz und Machine Learning können bei der Identifikation und Bewertung von Risiken unterstützen:

  • Automatische Auswertung großer Datenmengen aus verschiedenen Quellen
  • Erkennung von Risikomustern und -trends
  • Prognose potenzieller zukünftiger Risiken

Herausforderungen der Digitalisierung

Die Digitalisierung der Lieferkettenüberwachung bringt auch eigene Herausforderungen mit sich:

  • Hohe Investitionskosten, insbesondere für mittelständische Unternehmen
  • Notwendigkeit der Integration in bestehende IT-Landschaften
  • Datenschutz- und Datensicherheitsanforderungen, besonders bei internationalen Lieferketten
  • Abhängigkeit von der Datenqualität und -verfügbarkeit bei Zulieferern

Ausblick: EU-Lieferkettenrichtlinie

Parallel zum deutschen Lieferkettengesetz wurde auf europäischer Ebene die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) entwickelt. Diese EU-Lieferkettenrichtlinie wird voraussichtlich nach ihrer endgültigen Verabschiedung innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden und könnte das deutsche Lieferkettengesetz ergänzen oder verändern.

Die EU-Richtlinie geht in mehreren Punkten über das deutsche Gesetz hinaus:

  • Erweiterung auf Unternehmen mit 500 Mitarbeitern und einem Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro
  • Später zusätzlich auf Unternehmen mit 250 Mitarbeitern und einem Nettoumsatz von mehr als 40 Millionen Euro
  • Einbeziehung nicht nur direkter, sondern auch indirekter Lieferanten
  • Berücksichtigung der Nutzung und Entsorgung von Produkten

Für Einkaufsabteilungen bedeutet dies, dass sie sich bereits jetzt mit den potenziellen Anforderungen der EU-Richtlinie auseinandersetzen sollten, um frühzeitig entsprechende Anpassungen vornehmen zu können.

Fazit

Das Lieferkettengesetz markiert einen Paradigmenwechsel in der Unternehmensverantwortung und stellt den Einkauf vor weitreichende Herausforderungen, bietet aber auch Chancen für eine nachhaltigere und resilientere Beschaffungsstrategie. Die systematische Integration von Menschenrechts- und Umweltaspekten in das Lieferantenmanagement erfordert erhebliche Anpassungen in Prozessen, Strukturen und Systemen der Beschaffung, führt aber langfristig zu transparenteren und verantwortungsvolleren Lieferketten. Unternehmen, die proaktiv handeln und die notwendigen Transformationen frühzeitig angehen, können nicht nur rechtliche Risiken minimieren, sondern auch Wettbewerbsvorteile generieren und zur nachhaltigen Entwicklung beitragen. Für Einkaufsleiter ist es daher empfehlenswert, das Lieferkettengesetz nicht primär als regulatorische Bürde, sondern als strategische Chance zur Neugestaltung ihrer Beschaffungsorganisation zu begreifen und entsprechende Ressourcen für die erfolgreiche Umsetzung bereitzustellen.

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