Das Lieferkettengesetz, offiziell "Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz" (LkSG), ist ein deutsches Gesetz, das Unternehmen verpflichtet, Sorgfaltspflichten zum Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards entlang ihrer gesamten Lieferkette einzuhalten. Es zielt darauf ab, Menschenrechtsverletzungen wie Kinderarbeit, Zwangsarbeit oder Diskriminierung sowie Umweltschäden durch Geschäftsaktivitäten deutscher Unternehmen und ihrer globalen Zulieferer zu verhindern.
Das Lieferkettengesetz basiert auf mehreren Kernelementen, die Unternehmen etablieren und nachweisen müssen:
Unternehmen müssen ein angemessenes und wirksames Risikomanagement einrichten, um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken in ihrer Lieferkette zu identifizieren und zu bewerten. Dies umfasst die Implementierung einer klaren Zuständigkeitsregelung, beispielsweise durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten.
Betroffene Unternehmen sind verpflichtet, regelmäßig eine Risikoanalyse durchzuführen, um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken in ihrer eigenen Geschäftstätigkeit sowie bei unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern zu ermitteln. Die Analyse muss mindestens einmal jährlich sowie anlassbezogen durchgeführt werden.
Auf Basis der Risikoanalyse müssen Unternehmen angemessene Präventionsmaßnahmen implementieren, um identifizierte Risiken zu vermeiden oder zu minimieren. Dazu gehören u.a. die Verankerung einer Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte, die Entwicklung geeigneter Beschaffungsstrategien und die Integration von Menschenrechtsaspekten in Lieferantenverträge.
Bei Feststellung von Verstößen oder Risiken müssen unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen ergriffen werden, um diese zu beenden oder zu minimieren. Je nach Schwere des Verstoßes kann dies von Nachbesserungsforderungen bis hin zur Beendigung von Geschäftsbeziehungen reichen.
Unternehmen müssen ein wirksames Beschwerdeverfahren einrichten, das es Betroffenen ermöglicht, auf Risiken oder Verstöße hinzuweisen. Das Verfahren muss für potenzielle Betroffene zugänglich, transparent und fair sein.
Betroffene Unternehmen müssen ihre Sorgfaltspflichten dokumentieren und jährlich einen Bericht über die Erfüllung dieser Pflichten veröffentlichen6. Der Bericht muss spätestens vier Monate nach dem Ende des Geschäftsjahres für einen Zeitraum von sieben Jahren auf der Unternehmenswebsite öffentlich zugänglich gemacht werden.
Das Lieferkettengesetz hat weitreichende Auswirkungen auf die Beschaffungsfunktion in Unternehmen, da der Einkauf an der Schnittstelle zu Lieferanten eine Schlüsselrolle bei der Implementierung und Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen spielt:
Der Einkauf muss sein Lieferantenmanagement grundlegend überarbeiten, um menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken systematisch zu erfassen und zu bewerten. Dies umfasst:
Bestehende Lieferantenverträge müssen überprüft und angepasst werden, um Menschenrechts- und Umweltaspekte zu integrieren. Dies beinhaltet:
Traditionelle Beschaffungsstrategien, die hauptsächlich auf Kosten und Effizienz ausgerichtet sind, müssen um Nachhaltigkeitsaspekte erweitert werden. Dies kann bedeuten:
Die Umsetzung des Lieferkettengesetzes führt zu einer erhöhten Komplexität im Einkauf und erfordert zusätzliche Ressourcen:
Auch Unternehmen, die nicht direkt unter das Lieferkettengesetz fallen, können als Lieferanten betroffen sein:
Das Gesetz unterscheidet zwischen unmittelbaren Zulieferern (direkte Vertragspartner) und mittelbaren Zulieferern (alle weiteren Glieder der Lieferkette). Für unmittelbare Zulieferer gelten strengere Sorgfaltspflichten als für mittelbare, weshalb der Status des Lieferanten im Verhältnis zum verpflichteten Unternehmen entscheidend ist.
Als Lieferant eines vom Lieferkettengesetz betroffenen Unternehmens können folgende Anforderungen auf Sie zukommen:
Ein wesentlicher Effekt des Lieferkettengesetzes ist der sogenannte Kaskadeneffekt, bei dem Sorgfaltspflichten durch die gesamte Lieferkette weitergereicht werden. Dies führt dazu, dass auch kleine und mittelständische Unternehmen, die nicht direkt vom Gesetz betroffen sind, als Zulieferer indirekt die Anforderungen erfüllen müssen.
Bei Verstößen gegen das Lieferkettengesetz drohen erhebliche Sanktionen:
Ein mittelständisches Unternehmen der Elektronikindustrie mit 1.200 Mitarbeitern musste zum 1. Januar 2024 die Anforderungen des Lieferkettengesetzes umsetzen. Das Unternehmen bezieht Komponenten von mehr als 300 direkten Zulieferern aus 27 Ländern, darunter auch Hochrisikoregionen wie Teile Asiens und Afrikas.
Der Einkauf entwickelte ein dreistufiges risikobasiertes Lieferantenmanagement:
Die quantitativen Ergebnisse nach einem Jahr:
Die Umsetzung des Lieferkettengesetzes stellt Unternehmen vor erhebliche operative Herausforderungen, die ohne den Einsatz digitaler Technologien kaum zu bewältigen sind:
Die Komplexität moderner globaler Lieferketten mit hunderten oder tausenden Zulieferern macht eine manuelle Überwachung und Risikobewertung nahezu unmöglich. Digitale Systeme ermöglichen die effiziente Sammlung, Analyse und Dokumentation der erforderlichen Daten und helfen, den hohen administrativen Aufwand zu reduzieren.
Moderne Supplier-Relationship-Management-Systeme (SRM) können erweitert werden, um die spezifischen Anforderungen des Lieferkettengesetzes zu erfüllen:
Innovative Technologien wie Blockchain können die Transparenz und Rückverfolgbarkeit in komplexen Lieferketten revolutionieren:
Künstliche Intelligenz und Machine Learning können bei der Identifikation und Bewertung von Risiken unterstützen:
Die Digitalisierung der Lieferkettenüberwachung bringt auch eigene Herausforderungen mit sich:
Parallel zum deutschen Lieferkettengesetz wurde auf europäischer Ebene die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) entwickelt. Diese EU-Lieferkettenrichtlinie wird voraussichtlich nach ihrer endgültigen Verabschiedung innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden und könnte das deutsche Lieferkettengesetz ergänzen oder verändern.
Die EU-Richtlinie geht in mehreren Punkten über das deutsche Gesetz hinaus:
Für Einkaufsabteilungen bedeutet dies, dass sie sich bereits jetzt mit den potenziellen Anforderungen der EU-Richtlinie auseinandersetzen sollten, um frühzeitig entsprechende Anpassungen vornehmen zu können.
Das Lieferkettengesetz markiert einen Paradigmenwechsel in der Unternehmensverantwortung und stellt den Einkauf vor weitreichende Herausforderungen, bietet aber auch Chancen für eine nachhaltigere und resilientere Beschaffungsstrategie. Die systematische Integration von Menschenrechts- und Umweltaspekten in das Lieferantenmanagement erfordert erhebliche Anpassungen in Prozessen, Strukturen und Systemen der Beschaffung, führt aber langfristig zu transparenteren und verantwortungsvolleren Lieferketten. Unternehmen, die proaktiv handeln und die notwendigen Transformationen frühzeitig angehen, können nicht nur rechtliche Risiken minimieren, sondern auch Wettbewerbsvorteile generieren und zur nachhaltigen Entwicklung beitragen. Für Einkaufsleiter ist es daher empfehlenswert, das Lieferkettengesetz nicht primär als regulatorische Bürde, sondern als strategische Chance zur Neugestaltung ihrer Beschaffungsorganisation zu begreifen und entsprechende Ressourcen für die erfolgreiche Umsetzung bereitzustellen.