Einkaufskennzahlen sind quantifizierbare Messgrößen, die als Effizienzindikatoren zur Bewertung und Steuerung der Beschaffungsprozesse eines Unternehmens dienen. Sie stellen empirisch beobachtbare und systematisch erfassbare Werte dar, die die Qualität und Leistung des Einkaufs objektiv abbilden und eine Basis für fundierte strategische und operative Entscheidungen schaffen. Einkaufskennzahlen ermöglichen:
In der heutigen komplexen Beschaffungslandschaft sind Einkaufskennzahlen nicht mehr wegzudenken. Sie haben sich von einfachen Controllinginstrumenten zu strategischen Steuerungswerkzeugen entwickelt, die maßgeblich zur Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens beitragen. Laut aktuellen Studien des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) schätzen mittlerweile 43 Prozent der befragten Einkaufsleiterinnen und Einkaufsleiter sowohl die Leistung als auch den Stellenwert der Beschaffung im Unternehmen als hoch ein – eine steigende Tendenz, die die wachsende Bedeutung des Procurements unterstreicht.
Die systematische Erhebung und Analyse von Einkaufskennzahlen ermöglicht es Unternehmen, Kostensenkungspotenziale aufzudecken, Prozesse zu optimieren und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig dienen sie als Frühwarnsystem, um potenzielle Risiken in der Lieferkette rechtzeitig zu erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen einzuleiten. Nicht zuletzt stellen Einkaufskennzahlen eine gemeinsame Sprache zwischen Einkauf und anderen Unternehmensbereichen wie Finanzen, Produktion und Management her.
Für ein effektives Einkaufscontrolling ist es sinnvoll, die Vielzahl möglicher Kennzahlen in logische Kategorien zu strukturieren. Dies erleichtert die Auswahl relevanter KPIs für die eigene Organisation und verhindert einen unübersichtlichen "Kennzahlenfriedhof". In der Praxis haben sich folgende Kategorien bewährt:
Diese Kennzahlen bilden die Grundlage für langfristige Entscheidungen und sind eng mit den Unternehmenszielen verknüpft. Sie geben Aufschluss über die strategische Positionierung und Performance des Einkaufs:
Diese Kennzahlen beziehen sich auf die Effizienz der täglichen Einkaufsprozesse und geben Auskunft über die Produktivität und Prozessqualität:
Diese Kennzahlen bewerten die Qualität und Struktur des Lieferantenportfolios sowie die Performance einzelner Lieferanten:
Diese Kennzahlen fokussieren sich auf die Qualitätssicherung und das Risikomanagement in der Beschaffung:
Aus der Vielzahl möglicher Einkaufskennzahlen haben sich in der Praxis einige Schlüssel-KPIs herauskristallisiert, die in fast jedem Unternehmen relevant sind. Diese Kennzahlen sollten in jedem professionellen Einkaufscontrolling Beachtung finden:
Das Einkaufsvolumen ist die Basis vieler weiterer Kennzahlen und gibt den Gesamtwert aller beschafften Güter und Dienstleistungen in einem definierten Zeitraum an. Es wird oft weiter untergliedert nach:
Besonders aussagekräftig ist der Anteil des vom Einkauf verantworteten Volumens am gesamten Beschaffungsvolumen des Unternehmens. Je höher dieser Wert, desto größer ist der potenzielle Einfluss der Einkaufsabteilung auf die Gesamtkosten des Unternehmens.
Die Quantifizierung von Einsparungen durch Einkaufsaktivitäten ist eine der wichtigsten Kennzahlen, um den Wertbeitrag des Einkaufs nachzuweisen. Dabei werden verschiedene Arten von Savings unterschieden:
Entscheidend für die Glaubwürdigkeit dieser Kennzahl ist eine einheitliche und transparente Berechnungsmethodik. Die Einsparungen sollten immer in Relation zum Einkaufsvolumen betrachtet werden, um die Effizienz der Maßnahmen zu bewerten.
Die Liefertermintreue ist ein zentraler Indikator für die Zuverlässigkeit der Lieferanten und die Stabilität der Lieferkette. Sie wird typischerweise als Prozentsatz der termingerecht gelieferten Bestellungen berechnet:
Liefertermintreue = (Anzahl termingerechter Lieferungen / Gesamtanzahl Lieferungen) × 100%
Dabei ist es wichtig, klare Definitionen festzulegen, was als "termingerecht" gilt. Mögliche Ansätze sind:
Eine niedrige Liefertermintreue kann zu Produktionsausfällen, erhöhten Lagerbeständen oder Sondermaßnahmen führen und sollte daher kontinuierlich überwacht werden.[7]
Diese Kennzahl setzt die internen Kosten der Einkaufsabteilung ins Verhältnis zum gesamten verwalteten Einkaufsvolumen und ist ein wichtiger Indikator für die Effizienz der Einkaufsorganisation:
Einkaufskostenquote = (Kosten der Einkaufsabteilung / Einkaufsvolumen) × 100%
Zu den Kosten der Einkaufsabteilung zählen typischerweise:
Laut BME-Benchmark liegen die Unterschiede zwischen durchschnittlichen Unternehmen und den "Best in Class" bei dieser Kennzahl oft zwischen 30 und 50 Prozent. Dies verdeutlicht das erhebliche Optimierungspotenzial, das in vielen Einkaufsorganisationen noch schlummert.[5]
Besonders im Einzelhandel ist der durchschnittliche Einkaufswert (oder Warenkorb) eine zentrale Kennzahl. Sie gibt Aufschluss über das Kaufverhalten der Kunden und die Effektivität von Marketingmaßnahmen:
Durchschnittlicher Einkaufswert = Gesamtumsatz / Anzahl der Verkäufe
Eine differenzierte Analyse kann wertvolle Erkenntnisse liefern, etwa durch Segmentierung nach:
Ziel sollte es sein, den durchschnittlichen Einkaufswert durch gezielte Maßnahmen wie Cross-Selling, Produktbündelung oder optimierte Preisstrategien kontinuierlich zu steigern.
Die bloße Erhebung von Kennzahlen garantiert noch keinen Mehrwert für das Unternehmen. Damit ein Einkaufscontrolling-System tatsächlich zur Verbesserung der Einkaufsleistung beiträgt, sollten folgende Erfolgsfaktoren beachtet werden:
Ein effektives Kennzahlensystem sollte ausgewogen sein und verschiedene Dimensionen der Einkaufsleistung abdecken. Die Fachliteratur beschreibt mehr als 160 mögliche Einkaufskennzahlen, aber die Kunst liegt in der Beschränkung auf das Wesentliche. Empfehlenswert ist ein ausbalanciertes Set von 10-15 Kernkennzahlen, die folgende Aspekte abdecken:
Dabei sollte stets der Grundsatz gelten: Weniger ist mehr! Ein zu hoher Detailgrad überfordert die Organisation und trübt den Blick für das Wesentliche. Zahlenfriedhöfe ohne Aussagekraft sind unbedingt zu vermeiden.
Für jede Kennzahl sollten einheitliche Definitionen und Berechnungsmethoden festgelegt werden, um Konsistenz und Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Diese sollten dokumentiert und allen Beteiligten zugänglich gemacht werden. Besonders bei komplexeren Kennzahlen wie Einsparungen ist eine transparente Methodik entscheidend für die Akzeptanz der Zahlen innerhalb der Organisation.
Beispiel für eine Einsparungsberechnung:
Nur mit klaren Definitionen lassen sich Kennzahlen sinnvoll interpretieren und vergleichen – sowohl im Zeitverlauf als auch im Benchmarking mit anderen Unternehmen.
Kennzahlen entfalten ihre Steuerungswirkung erst, wenn sie mit konkreten Zielwerten verbunden sind. Diese sollten anspruchsvoll, aber realistisch sein und regelmäßig überprüft werden. Wichtig ist dabei die Verknüpfung mit konkreten Maßnahmen:
So wird aus dem bloßen Messen ein echtes Performance Management, das zu kontinuierlichen Verbesserungen führt. Dabei sollte stets die Balance zwischen verschiedenen Zieldimensionen gewahrt werden, um nicht einseitig zu optimieren.
Die manuelle Erhebung und Auswertung von Einkaufskennzahlen ist zeitaufwändig und fehleranfällig. Moderne Technologien bieten hier erhebliche Potenziale für Effizienzsteigerungen und tiefere Einblicke in die Einkaufsperformance.
Der Einsatz digitaler Tools im Einkaufscontrolling bietet zahlreiche Vorteile:
Durch diese Vorteile wird das Einkaufscontrolling von einer retrospektiven Betrachtung zu einem proaktiven Steuerungsinstrument, das frühzeitig auf Abweichungen hinweisen und Handlungsbedarf aufzeigen kann.
Für die Digitalisierung des Einkaufscontrollings stehen verschiedene technologische Ansätze zur Verfügung:
Die Wahl des passenden Systems hängt von den spezifischen Anforderungen, der vorhandenen IT-Landschaft und dem Budget ab. Wichtig ist eine gute Integration in bestehende Systeme, um Datensilos zu vermeiden und einen durchgängigen Informationsfluss zu gewährleisten.
Ein modernes SRM-System kann beispielsweise automatisch Daten zu Bestellungen, Lieferungen und Rechnungen erfassen und daraus relevante Kennzahlen wie Liefertermintreue, Reklamationsquoten oder Prozesskosten berechnen. Durch integrierte Dashboards erhalten Einkaufsleiter jederzeit einen aktuellen Überblick über die Performance und können bei Abweichungen schnell reagieren.
Die eigenen Einkaufskennzahlen gewinnen zusätzlich an Aussagekraft, wenn sie mit denen anderer Unternehmen verglichen werden können. Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) bietet hier wertvolle Orientierungshilfen.
Der BME erhebt jährlich die wichtigsten Einkaufskennzahlen zu Qualität, Strukturen, Prozessen und Kosten. Der daraus resultierende Benchmark-Report ist seit vielen Jahren ein zuverlässiger Vergleichsmaßstab für Einkaufsabteilungen und umfasst 25 Kennzahlen zur Bewertung der eigenen Performance.
Der Benchmark wird in zwei Varianten veröffentlicht:
Besonders aufschlussreich ist der Vergleich zwischen Durchschnittswerten und Best in Class. Die Unterschiede betragen in der Regel 30 bis 50 Prozent, was das erhebliche Verbesserungspotenzial in vielen Unternehmen verdeutlicht.
Um Benchmarks sinnvoll zu nutzen, sollten folgende Aspekte beachtet werden:
Ein Benchmark sollte nicht als starres Ziel, sondern als Orientierungshilfe verstanden werden. Die spezifischen Rahmenbedingungen und strategischen Prioritäten des eigenen Unternehmens müssen bei der Interpretation und Ableitung von Maßnahmen stets berücksichtigt werden.
Zur Veranschaulichung der praktischen Umsetzung betrachten wir ein mittelständisches Industrieunternehmen mit einem jährlichen Einkaufsvolumen von 120 Millionen Euro, das ein strukturiertes Kennzahlensystem einführen möchte:
Das Unternehmen verfügt bereits über ein ERP-System, in dem Bestelldaten erfasst werden. Bislang wurden jedoch nur wenige Kennzahlen (Einkaufsvolumen, Lieferantenanzahl) unsystematisch erhoben. Ziel ist es, ein umfassendes Kennzahlensystem zu implementieren, das:
Das Unternehmen entscheidet sich für ein systematisches Vorgehen in mehreren Schritten:
Schritt 1: Auswahl relevanter Kennzahlen
Nach einer Analyse der strategischen Ziele und Prioritäten werden folgende Kernkennzahlen definiert:
Schritt 2: Definition der Berechnungsmethoden
Für jede Kennzahl werden einheitliche Definitionen und Berechnungsmethoden festgelegt, beispielsweise:
Schritt 3: Technische Umsetzung
Das Unternehmen entscheidet sich für eine kombinierte Lösung:
Schritt 4: Festlegung von Zielwerten
Basierend auf einer Analyse der Ist-Werte und einem Vergleich mit BME-Benchmarks werden ambitionierte, aber realistische Zielwerte definiert, beispielsweise:
Schritt 5: Rollout und Schulung
Die Implementierung erfolgt schrittweise:
Ergebnisse nach einem Jahr
Die Implementierung des Kennzahlensystems zeigt bereits nach einem Jahr deutliche Effekte:
Dieses Beispiel zeigt, wie ein strukturierter Ansatz zur Implementierung eines Einkaufskennzahlensystems zu messbaren Verbesserungen führen kann. Entscheidend ist dabei die Kombination aus strategischer Ausrichtung, klaren Definitionen, technischer Unterstützung und konsequenter Maßnahmenableitung.
Einkaufskennzahlen sind unverzichtbare Instrumente für die strategische und operative Steuerung moderner Procurement-Abteilungen. Sie schaffen Transparenz, decken Optimierungspotenziale auf und machen den Wertbeitrag des Einkaufs messbar. Durch die zunehmende Digitalisierung werden Einkaufskennzahlen immer einfacher zu erheben und auszuwerten, was neue Möglichkeiten für datengetriebene Entscheidungen eröffnet. Für eine erfolgreiche Implementierung und Nutzung von Einkaufskennzahlen empfehlen sich folgende Handlungsschritte: