Die optimale Bestellmenge (Economic Order Quantity, EOQ) beschreibt die wirtschaftlich vorteilhafteste Bestellmenge, bei der die Summe aus Bestell- und Lagerhaltungskosten minimal ist. Sie ermöglicht Unternehmen, den perfekten Ausgleich zwischen zu häufigen Bestellungen mit hohen Prozesskosten und zu großen Lagerbeständen mit hoher Kapitalbindung zu finden.
Das Konzept der optimalen Bestellmenge basiert auf der Erkenntnis, dass mit steigender Bestellmenge die Bestellkosten sinken, während die Lagerhaltungskosten zunehmen. Dieser gegenläufige Kostenverlauf führt zu einem Minimum der Gesamtkosten bei einer bestimmten Bestellmenge – der optimalen Bestellmenge.
Die theoretische Basis für die Berechnung stammt von Ford W. Harris, der bereits 1913 die Grundlagen entwickelte. Karl Andler griff diese auf und popularisierte das Konzept im deutschsprachigen Raum, weshalb die Berechnungsformel im Deutschen auch als "Andler'sche Formel" bekannt ist.
Die optimale Bestellmenge wird mit der Andler-Formel berechnet:
q = √((2 × Jahresbedarf × Bestellkosten) / (Einstandspreis pro Mengeneinheit × Lagerkostensatz))
Wobei:
Für die präzise Ermittlung der optimalen Bestellmenge ist ein tiefgreifendes Verständnis der relevanten Kostenkomponenten unverzichtbar. Diese lassen sich in zwei Hauptkategorien unterteilen: Bestellkosten und Lagerhaltungskosten.
Die Bestellkosten umfassen sämtliche Kosten, die bei der Auslösung und Abwicklung einer Bestellung anfallen, unabhängig von der bestellten Menge. Sie sind mengenfix, aber vorgangsvariabel.
Die Lagerhaltungskosten steigen proportional mit der Bestellmenge und der Lagerdauer. Sie sind mengenvariabel und zeitabhängig.
Die optimale Bestellmenge wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst, die bei der Berechnung und praktischen Anwendung berücksichtigt werden müssen.
In der Praxis ist der Bedarf selten konstant. Saisonale Schwankungen, Marktentwicklungen oder unerwartete Ereignisse können den Bedarf erheblich beeinflussen. Fortschrittliche Bedarfsprognosemodelle und regelmäßige Anpassungen der optimalen Bestellmenge sind daher unerlässlich.
Die klassische Andler-Formel berücksichtigt keine Mengenrabatte. In der Praxis können größere Bestellmengen jedoch zu niedrigeren Einkaufspreisen führen. Dies erfordert eine modifizierte Berechnung, bei der die Einsparungen durch Mengenrabatte den höheren Lagerhaltungskosten gegenübergestellt werden.
Begrenzte Lagerkapazitäten können die theoretisch optimale Bestellmenge einschränken. Hier müssen Unternehmen zwischen der optimalen Bestellmenge und den verfügbaren Lagerkapazitäten abwägen oder Investitionen in zusätzliche Lagerflächen prüfen.
Bei Produkten mit kurzen Lebenszyklen oder hoher Obsoleszenzgefahr muss das Risiko der Wertminderung stärker gewichtet werden. Dies führt in der Regel zu kleineren optimalen Bestellmengen.
Die theoretischen Grundlagen der optimalen Bestellmenge lassen sich am besten anhand eines konkreten Beispiels veranschaulichen. Betrachten wir ein mittelständisches Produktionsunternehmen, das jährlich 24.000 Einheiten eines Zukaufteils benötigt.
Ausgangsdaten:
Berechnung mit der Andler-Formel:
q = √((2 × 24.000 × 100) / (20 × 0,25))
q = √(4.800.000 / 5)
q = √960.000
q = 980 Stück
Bei einer optimalen Bestellmenge von 980 Stück ergibt sich:
An diesem Beispiel wird das Gleichgewichtsprinzip der optimalen Bestellmenge deutlich: Bei der optimalen Bestellmenge sind die jährlichen Bestellkosten und Lagerhaltungskosten exakt gleich.
Um die Auswirkungen verschiedener Bestellmengen auf die Gesamtkosten zu verdeutlichen, betrachten wir eine Sensitivitätsanalyse:
Diese Analyse zeigt: Bei Abweichungen von der optimalen Bestellmenge steigen die Gesamtkosten. Interessanterweise steigen die Kosten bei einem Anstieg der Gesamtkosten um 5% deutlich weniger stark an, wenn die Bestellmenge größer als die optimale Menge ist, verglichen mit einer zu kleinen Bestellmenge. Dies erklärt, warum in der Praxis häufig leicht größere Bestellmengen als die theoretisch optimalen gewählt werden.
Das traditionelle Modell der optimalen Bestellmenge basiert auf vereinfachten Annahmen, die in der komplexen Praxis nicht immer zutreffen. Die kritische Auseinandersetzung mit diesen Limitationen ist für Einkaufsexperten essenziell.
Um die praktischen Einschränkungen zu überwinden, wurden verschiedene Erweiterungen des EOQ-Modells entwickelt:
Die Digitalisierung hat die praktische Anwendung der optimalen Bestellmenge revolutioniert. Moderne ERP- und SRM-Systeme ermöglichen eine dynamische und präzise Berechnung unter Berücksichtigung zahlreicher Einflussfaktoren in Echtzeit.
Die optimale Bestellmenge wird in modernen Beschaffungsprozessen nicht isoliert betrachtet, sondern in einen ganzheitlichen digitalen Workflow integriert:
Die optimale Bestellmenge ist kein isoliertes Konzept, sondern ein zentraler Baustein eines ganzheitlichen Supply Chain Managements. Für Einkaufsleiter ist es wichtig, die Bestellmengenoptimierung in den strategischen Kontext einzuordnen.
Die konsequente Anwendung der optimalen Bestellmenge bietet signifikante strategische Vorteile für die Einkaufsabteilung:
Die optimale Bestellmenge bleibt trotz ihrer theoretischen Ursprünge ein leistungsstarkes Instrument für den modernen strategischen Einkauf. Der größte Nutzen entsteht durch die kritische Anwendung des Konzepts unter Berücksichtigung unternehmensspezifischer Rahmenbedingungen und durch die Integration in digitale Beschaffungsprozesse. Professionelle Einkaufsleiter sollten die optimale Bestellmenge als eines ihrer zentralen Steuerungsinstrumente betrachten, dessen Potenzial durch die Digitalisierung weiter verstärkt wird.
Handlungsempfehlungen für Einkaufsleiter: