Lagerkennzahlen, auch als Lagerkennziffern oder Lager-KPIs bezeichnet, sind betriebswirtschaftliche Indikatoren, mit denen Unternehmen die Wirtschaftlichkeit ihrer Lagerhaltung überwachen, bewerten und steuern können. Sie quantifizieren verschiedene Aspekte der Lagerperformance wie Bestandshöhe, Umschlagshäufigkeit, Lagerdauer und Servicegrad, wodurch sie als Entscheidungsgrundlage für die Optimierung von Beschaffungsprozessen und die strategische Ausrichtung des Einkaufs dienen.
Für Einkäufer und Beschaffungsverantwortliche sind Lagerkennzahlen von zentraler Bedeutung für die Steuerung und Optimierung der gesamten Supply Chain. Sie liefern wichtige Entscheidungsgrundlagen für die Gestaltung von Beschaffungsstrategien und ermöglichen eine evidenzbasierte Lieferantenauswahl sowie Verhandlungsführung.
Im strategischen Einkauf dienen Lagerkennzahlen insbesondere dazu, das optimale Gleichgewicht zwischen Versorgungssicherheit und Kapitalbindung zu finden. Während zu hohe Lagerbestände unnötige Kosten verursachen, können zu niedrige Bestände zu Lieferengpässen und Produktionsausfällen führen. Durch die kontinuierliche Analyse und Steuerung relevanter Lagerkennzahlen kann der Einkauf maßgeblich zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beitragen.
Einkaufsabteilungen nutzen Lagerkennzahlen zudem als Grundlage für Make-or-Buy-Entscheidungen, für die Bewertung verschiedener Beschaffungskonzepte wie Just-in-Time oder Konsignationslager sowie für die Entwicklung bedarfsgerechter Bestellrhythmen. Sie sind damit ein unverzichtbares Instrument für das gesamte Beschaffungscontrolling.
Für ein effektives Lagercontrolling ist es wichtig, Lagerkennzahlen systematisch zu erfassen und auszuwerten. Je nach Perspektive und Analyseziel lassen sich Lagerkennzahlen in verschiedene Kategorien einteilen, die unterschiedliche Aspekte der Lagerhaltung beleuchten.
Eine wichtige Grundlage für die effiziente Arbeit mit Lagerkennzahlen ist die ABC-Analyse, die Lagerartikel nach ihrer wirtschaftlichen Bedeutung klassifiziert. Diese Methode hilft dabei, den Aufwand für das Kennzahlenmanagement entsprechend der Relevanz der Artikel zu priorisieren:
Diese differenzierte Betrachtung ermöglicht es Einkäufern, ihre Ressourcen gezielt einzusetzen und den Controllingaufwand an den tatsächlichen wirtschaftlichen Nutzen anzupassen. Für A-Artikel können beispielsweise tägliche Kennzahlenanalysen sinnvoll sein, während bei C-Artikeln monatliche oder quartalsweise Auswertungen genügen.
Für Einkaufsprofis sind bestimmte Lagerkennzahlen von besonderer Relevanz, da sie direkte Rückschlüsse auf die Effizienz der Beschaffungsprozesse zulassen und konkrete Optimierungspotenziale aufzeigen. Im Folgenden werden die zentralen Kennzahlen vorgestellt, die in keinem Einkaufscontrolling fehlen sollten.
Die systematische Analyse von Lagerkennzahlen liefert wertvolle Erkenntnisse für die Entwicklung und Optimierung der Beschaffungsstrategie. Einkäufer können auf Basis dieser Daten fundierte Entscheidungen über Lieferantenauswahl, Bestellrhythmen und Bestandsniveaus treffen.
Durch die Analyse von Kennzahlen wie Lagerumschlagshäufigkeit, Bestandsreichweite und Servicegrad können Einkäufer ihre Beschaffungspolitik kontinuierlich verbessern. Zeigt die Auswertung beispielsweise eine zu geringe Umschlagshäufigkeit bei gleichzeitig hohem Servicegrad, deutet dies auf überhöhte Sicherheitsbestände hin. In diesem Fall könnten Bestellmengen reduziert oder Lieferintervalle verkürzt werden, um die Kapitalbindung zu senken, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden.
Umgekehrt kann eine hohe Umschlagshäufigkeit bei gleichzeitig niedrigem Servicegrad auf zu knapp kalkulierte Bestände hinweisen. Hier wäre eine Anpassung der Sicherheitsbestände oder eine Verbesserung der Prognosegenauigkeit angezeigt, um die Lieferbereitschaft zu erhöhen.
Lagerkennzahlen spielen auch im Lieferantenmanagement eine wichtige Rolle. So können Einkäufer beispielsweise die durchschnittliche Lieferzeit und -zuverlässigkeit verschiedener Lieferanten vergleichen und auf dieser Basis Entscheidungen über die Lieferantenauswahl oder -entwicklung treffen.
Die Analyse der Bestandsentwicklung in Abhängigkeit von Lieferanten kann zudem Aufschluss über die Qualität der Zusammenarbeit geben. Müssen für bestimmte Lieferanten höhere Sicherheitsbestände vorgehalten werden als für andere, kann dies ein Indikator für Optimierungspotenzial in der Lieferantenbeziehung sein.
Die historische Entwicklung von Lagerkennzahlen bildet eine wichtige Grundlage für Bedarfsprognosen und die darauf aufbauende Beschaffungsplanung. Durch die Analyse von Verbrauchsmustern, saisonalen Schwankungen und Bestandsentwicklungen können Einkäufer zukünftige Bedarfe präziser vorhersagen und ihre Beschaffungsaktivitäten entsprechend ausrichten.
Moderne Prognoseverfahren kombinieren historische Lagerdaten mit aktuellen Marktinformationen und ermöglichen so eine vorausschauende Bestandsoptimierung. Dies ist besonders wichtig bei Produkten mit langen Beschaffungszeiten oder starken Bedarfsschwankungen.
Ein mittelständischer Automobilzulieferer mit einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro stand vor der Herausforderung, seine Lagerhaltung effizienter zu gestalten und die gebundenen finanziellen Mittel zu reduzieren. Durch eine systematische Analyse und Optimierung der Lagerkennzahlen konnte das Unternehmen signifikante Verbesserungen erzielen.
Die Analyse der Ist-Situation ergab folgende Kennzahlen:
Bei einer detaillierten Bestandsanalyse wurde festgestellt, dass insbesondere bei B- und C-Artikeln überhöhte Sicherheitsbestände vorgehalten wurden, während bei einigen A-Artikeln immer wieder Lieferengpässe auftraten. Zudem waren die Bestellprozesse nicht optimal an die tatsächlichen Bedarfsverläufe angepasst.
Basierend auf der Analyse wurden folgende Maßnahmen umgesetzt:
Nach einem Jahr zeigten die Lagerkennzahlen folgende Entwicklung:
Unter Berücksichtigung der reduzierten Lagerkosten für Fläche, Personal und Handling sowie der verbesserten Prozesseffizienz ergab sich eine jährliche Gesamtkostenersparnis von über 400.000 Euro. Gleichzeitig konnte durch die bedarfsgerechtere Bestandshaltung die Versorgungssicherheit verbessert werden, was zu weniger Produktionsunterbrechungen und einer höheren Kundenzufriedenheit führte.
Dieses Beispiel verdeutlicht, wie eine systematische Analyse und Optimierung von Lagerkennzahlen zu signifikanten Verbesserungen in der gesamten Supply Chain führen kann. Entscheidend für den Erfolg war dabei die konsequente Ausrichtung der Maßnahmen an den spezifischen Anforderungen der unterschiedlichen Artikelgruppen sowie die enge Verzahnung von Einkauf, Logistik und Produktion.
Die Digitalisierung hat das Management von Lagerkennzahlen revolutioniert und bietet Einkaufsabteilungen heute völlig neue Möglichkeiten zur Datenerfassung, -analyse und -visualisierung. Moderne Systeme ermöglichen eine automatisierte, echtzeitnahe Berechnung von KPIs und unterstützen datengetriebene Entscheidungsprozesse im Einkauf.
Für ein effektives digitales Management von Lagerkennzahlen kommen verschiedene Systemkategorien zum Einsatz:
Die neueste Generation von Lösungen für das Lagerkennzahlen-Management nutzt Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning, um über das reine Reporting hinauszugehen und prädiktive Funktionen zu bieten:
Lagerkennzahlen sind unverzichtbare Steuerungsinstrumente für den modernen Einkauf, die weit über die reine Kontrollfunktion hinausgehen. Sie bilden die Grundlage für strategische Entscheidungen zur Optimierung der gesamten Supply Chain und tragen wesentlich zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens bei. Durch die systematische Erfassung, Analyse und Interpretation relevanter Kennzahlen können Einkäufer das optimale Gleichgewicht zwischen Kapitalbindung und Versorgungssicherheit finden und kontinuierlich verbessern.
Die zunehmende Digitalisierung eröffnet dabei völlig neue Möglichkeiten für ein datengetriebenes Lagerkennzahlen-Management, das echtzeitnahe Einblicke in die Lagerperformance ermöglicht und durch prädiktive Analysen auch zukünftige Entwicklungen antizipieren kann. Für Einkaufsverantwortliche ergeben sich daraus folgende konkrete Handlungsempfehlungen: